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Entnazifizierung in Obrigheim
Neben dem Aufbau einer demokratischen Verwaltung und der Bewältigung der Nachkriegs-probleme gehörte die Entnazifizierung ehemaliger Mitglieder der NSDAP und Angehöriger von SA, SS und anderer NS-Organisationen zum Aufgabenbereich der Gemeindeverwaltung. Die Listen mussten für die US-Militärbehörde erstellt werden. Aus diesem Dokument erhalten wir so auch einen exakten Einblick in die Organisationsstruktur des NS-Regimes in Obrigheim. Obrigheim hatte kreisweit eine der größten Gruppen der NSDAP.
Einblick in die NS-Struktur vor Ort
Erstellt wurde von der Gemeindeverwaltung ein Verzeichnis der Parteigenossen „weil alle Unterlagen fehlen, nach dem Gedächtnis aufgestellt, Irrtum vorbehalten“, wie ausdrücklich angemerkt ist. Danach gab es 121 „Parteigenossen“, die großteils vor 1937 beigetreten waren. 29 davon wurden, wie in der Aufstellung vermerkt ist, „von der HJ übernommen und waren zur Zeit der Übernahme bei der Wehrmacht und haben zum grössten Teil erst jetzt nach der Entlassung Kenntnis von ihrer Parteizugehörigkeit erlangt“. Weitere 7 wurden vom BDM (Bund Deutscher Mädel) übernommen. Parteimitglieder waren fast ausschließlich Männer.
Wenn man davon ausgeht, dass Obrigheim vor dem Krieg ca. 1.200 Einwohner hatte und man die Mitglieder der HJ und des BDM sowie Frauen und Kinder wegnimmt, dann waren etwa ein Viertel bis ein Drittel der männlichen Bevölkerung Mitglied der NSDAP.
In den Unterlagen erfahren wir einiges über die Organisation der NS und ihre Struktur vor Ort. Neben den Funktionsträgern der NSDAP und ihrer Gliederungen gab es noch „Blockleiter“, deren Aufgabe es war, die Mitgliedsbeiträge der Parteigenossen einzuziehen, Spenden für verschiedene NS-Organisationen zu sammeln, Plaketten zu verkaufen und neue Mitglieder zu werben. Darüber hinaus hatten sie auch über die Gesinnung der in ihrem Block wohnenden Volksgenossen und z.B. auch über die Einhaltung der Verdunkelung zu wachen.
Die höheren Chargen waren zum Zeitpunkt der Aufstellung der Liste noch in Haft oder auch in Internierungslagern. Die Liste war Grundlage der Spruchkammerverfahren, die von den Besatzungsmächten eingerichtet wurden. Die Spruchkammern waren überwiegend mit Laienrichtern besetzt. In den drei westlichen Zonen wurden in den bis 31. Dezember 1949 entschiedenen Verfahren wie folgt geurteilt:
- 54 % Mitläufer,
- bei 34,6 % wurde das Verfahren eingestellt,
- 0,6 % wurden als NS-Gegner anerkannt,
- 1,4 % Hauptschuldige und Belastete (Schuldige).
Neben Verurteilungen wurden auch Geldstrafen und berufliche Degradierungen (v.a. von Beamten) und der zeitliche Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte ausgesprochen.
Ausschluss vom Wahlrecht „aus politischen Gründen“
So waren z.B. in Obrigheim bei den Gemeinderatswahlen 1946 38 Personen vom Wahlrecht „aus politischen Gründen“ ausgeschlossen. Dies dürften wohl die Funktionsträger der NSDAP und die „Führer“ der Gliederungen (Hitlerjugend und Jungvolk, Bund Deutscher Mädel, BDM-Werk „Glaube und Schönheit“, NS-Frauenschaft, Deutsche Arbeitsfront und Ortsbauernführer) sowie von SA und SS gewesen sein. 1947 waren es noch 27, die vom Wahlrecht „aus politischen Gründen“ ausgeschlossen waren. 1951 wurde das Befreiungsgesetz aufgehoben, nachdem die Entnazifizierung mit Beginn des „kalten Krieges“ schon ab 1947 großzügiger gehandhabt worden war. In den westlichen Zonen wurden etwa 2,5 Millionen Bürger auf ihre Beteiligung am Nationalsozialismus überprüft.