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|| Aktion T4 und der „Führererlass“


Tafel 5: Aktion T4 und der „Führererlass“ (1)

In den Jahren 1940/1941 wurden im damaligen Reichsgebiet Bewohner von Heil- und Pflegeanstalten sowie Heilerziehungsheimen in einer zentral organisierten Vernichtungsaktion ermordet. [1/2] Nach dem Sitz der zentralen Dienststelle in der Berliner Tiergartenstraße 4 erhielt diese erste systematische und industriell durchgeführte Massenvernichtungsaktion im Nationalsozialismus und in der Menschheitsgeschichte überhaupt den Namen „Aktion T4“.

Die leitenden und durchführenden Akteure wurden zuvor schon von Adolf Hitler selbst durch einen sog. „Führererlass“ ermächtigt. Dieser Erlass hatte jedoch lediglich inoffiziellen Charakter und war keine gesetzliche Legitimation. Sterbehilfe war auch während des gesamten sog. Dritten Reichs gesetzlich verboten. Für die Planung der „Aktion T4“ sollten alle Patienten erfasst werden, die sich länger als fünf Jahre in Anstaltsbehandlung befanden oder die an Schizophrenie, „Schwachsinn“, Epilepsie und/oder an neurologischen Endzuständen litten und nicht oder nur mit „mechanischen Arbeiten“ zu beschäftigen waren. Auch sollten alle kriminellen Geisteskranken und nicht deutsche Anstaltspatienten unter Angabe der Rassezugehörigkeit gemeldet werden. Hieraus lassen sich die Selektionskriterien „Erblichkeit“, „Unheilbarkeit“, „Leistungsunfähigkeit“, „Asozialität“ und „Rassezugehörigkeit“ ableiten, während Kriegsversehrte, Alterskranke und Ausländer zunächst zurückgestellt werden konnten. [4]

Die Erfassung und Selektion der Betroffenen erfolgte mit flächendeckend versandten Meldebögen. Diese Entscheidung über Leben und Tod entschieden Personen allein auf Grundlage der Akten, die dahinterstehende Person bekamen sie nie zu Gesicht. Entsprechend diesen bürokratischen Selektionsentscheidungen wurden Transportlisten zusammengestellt und die Patienten mit Sammeltransporten – noch heute sind die berüchtigten „grauen Busse“ den Augenzeugen ein Begriff. Hier wurden die Patienten nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung, die der Identitätsüberprüfung und der Festlegung einer plausiblen Todesursache für die Sterbeurkunde diente, in Gaskammern mit Kohlenmonoxyd-Gas erstickt.

Tafel 6: Aktion T4 und der „Führererlass“ (2)

Die Angehörigen erhielten nach einem ausgeklügelten Geheimhaltungssystem gefälschte Todesnachrichten, die sog. „Trostbriefe“, die eine „Erlösung“ der Kranken von ihrem Leid suggerierten.

Dennoch kam es innerhalb der Bevölkerung zu einer erheblichen Beunruhigung wegen der Krankenmorde. Auch von kirchlicher Seite waren Proteste zu verzeichnen. Am 24. August 1941 verfügte Hitler die Einstellung der Massenvergasungen und somit das Ende der zentral organisierten „Aktion T4“. Der Abbruch dieser ist nach neueren Forschungsergebnissen nicht auf das Erreichen eines vorgegebenen Plansolls zurückzuführen, vielmehr spielte der Stimmungseinbruch in der Bevölkerung nach dem ins Stocken geratenen Krieg gegen die Sowjetunion und der zunehmende Luftkrieg gegen deutsche Städte eine entscheidende Rolle. [5] Die Aktivitäten der Planungszentrale der „Aktion T4“ legen nahe, dass man dort jederzeit zu einer Wiederaufnahme der zentral gesteuerten Krankentötungen bereit war. Diese endeten denn auch nach Hitlers Einstellungsverfügung keineswegs, sondern wurden, unterstützt von der zentralen Dienststelle, in regional unterschiedlichem Maße mittels einer speziellen Hungerkost und Medikament-Tötungen bis 1945 fortgeführt. Diese zweite Phase wird auch als dezentrale „Euthanasie“ bezeichnet. Zugleich erweiterte sich der Kreis möglicher Opfer auf die Bewohner von Altersheimen, die Insassen von Arbeitshäusern und „nichtbildungsfähige“ Jugendliche in Fürsorgeheimen.

Die Gesamtzahl der „Euthanasie“-Opfer wird allein im sog. Reichsgebiet auf über 200.000 geschätzt. [6] Neuere Forschungen legen eine wesentlich höhere Dunkelziffer dar.1)


1)
Vgl.: Hohendorf, Gerrit [u.a.]: Die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie-Aktion T4“. Erste Ergebnisse eines Projektes zur Erschließung von Krankenakten getöteter Patienten im Bundesarchiv Berlin, in: Nervenarzt Bd. 73, 2002, S. 1065–1074. / Bildquelle: dpa, Diakonissenanstalt Bruckberg
sonderausstellungen/2019/obrigheim-euthanasie/taf04.txt · Zuletzt geändert: 2024/09/09 13:57 von 127.0.0.1

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