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|| Geistige Wurzeln


Tafel 3: Geistige Wurzeln (1)

Sucht man nach den Ursprüngen zur Begründung dessen, warum sich eine selbstdefinierte „Volksgruppe“ das Recht gibt, sich über andere Gruppen zu erheben, die deren Ideale weder teilen noch entsprechen und daraus den Anspruch ableiten, dass diese ein Recht auf Leben haben und andere nicht oder dass diese durch deren Andersartigkeit dieses Recht verwirkt haben, so findet man diesen Ursprung schon vor der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

Grundlage der meisten rassentheoretischen Überlegungen ist die Veröffentlichung des englischen Naturforschers Charles Darwin aus dem Jahre 1859, welches den Titel „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein„ trägt. Zu betonen ist, dass Darwin selbst nicht einen solchen Anspruch auf die menschliche Gesellschaft in seinem Werk ableitete, sondern sich auf Grundlage seiner Veröffentlichung eine Gruppierung gründete, die sich dem nach ihm benannten Sozialdarwinismus verschrieben. Diese nahmen die Abwägung des Rechts auf Leben in ihr Gedankengut auf. Sie forderten die Ausmerzung aller Erbkranker und anderer „Volksschädlinge“. Hitler griff später diese Gedanken auf und definierte das Leben der Menschen und Völker als einen unablässigen Kampf auf Leben und Tod, bei dem der Stärkere, laut Hitler der sog. arische Herrenmensch, siegt und der Schwächere zum Untergang verurteilt ist. In seinem Buch „Mein Kampf“ schrieb Hitler: „Der Kampf um das tägliche Brot läßt alles Schwache und Kränkelnde, weniger Entschlossene unterliegen.„ (Mein Kampf, S. 312f)

Tafel 4: Geistige Wurzeln (2)

Aber schon davor trugen europaweit vereinzelte Wissenschaftler und Politiker zu dieser Debatte bei, doch blieb es bis zum Ende des Ersten Weltkrieges bei politischen Einzelpositionen verschiedener Rassenhygieniker, die keine allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz fanden. Dies änderte sich allerdings schlagartig im Jahre 1920, als die nur 62 Seiten umfassende Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“ des Freiburger Psychiaters Alfred Erich Hoche und des Juristen Karl Binding erschien. Sie sprachen sich in ihrem Aufsatz für die Tötung von als minderwertig befundene Kranke und Behinderte aus und begründeten dies sowohl aus rassenhygienischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Dabei gaben die beiden Autoren die lebhafte wissenschaftliche Diskussion zu Anfang der Weimarer Republik wieder, ob und gegebenenfalls in welchen Grenzen im künftigen Recht eine „Tötung lebensunwerten Lebens„ gestattet werden könnte. Beide sprachen in diesem Zusammenhang von „leeren Menschenhülsen“ und dem „Fremdkörpercharakter der geistig Toten im Gefüge der menschlichen Gesellschaft„ und befürworteten die „Euthanasie“ bei sogenannten „Ballastexistenzen“. Weiter heißt es in der Schrift: „Mitleid ist den geistig Toten gegenüber im Leben und im Sterbensfall die an letzter Stelle angebrachte Gefühlsregung; wo kein Leiden ist, ist auch kein mitleiden.“ Unter den jungen Studenten des Freiburger Psychiaters Hoche saß damals auch Werner Heyde, jener Mann also, der ab dem Jahre 1939 als Leiter der Medizinischen Abteilung der Zentraldienststelle T4 in Berlin die Massentötung der Kranken organisierte. Es wird damit deutlich: Erb- und Rassentheorien waren ebenso wenig eine Erfindung des Nationalsozialismus wie die Diskussion, in der zunehmend Nützlichkeitsgesichtspunkte wirtschaftlicher und eugenischer Art den „Lebenswert„ eines Individuums bemaßen. Die Nazipropaganda verstand es dann allerdings, auf diesem vorbereiteten Boden die „Vernichtung der Minderwertigen“ zum Programm der gesamten Gesundheitsfürsorge zu machen.

Bildquelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand: SS auf dem NSDAP-Parteitag.

sonderausstellungen/2019/obrigheim-euthanasie/taf03.txt · Zuletzt geändert: 2023/07/11 13:27 von 127.0.0.1

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